Universität Duisburg-Essen, Campus Duisburg
![]() |
Gesamtvorhaben
Durchflusszytometrische Analysen und Sortierungen von Partikeln
und Zellen nach dem Jet-in-Air Verfahren haben in der biomedizinischen
Forschung und für klinische Untersuchungen große Bedeutung
und ein weltweit wachsendes Marktvolumen von derzeit etwa
$ 1,5 Milliarden gewonnen. Nach Zellsortierungen auf der Basis von
Volumenbestimmungen oder Verarbeitung von Lichtstreuungssignalen
konnten die Einsatzmöglichkeiten von Zytometrie-Systemen
durch die Verwendung zelltyp-spezifischer Antikörper und mit Hilfe
empfindlicher Fluoreszenz-Signalerfassung deutlich erweitert werden.
Mindestens drei Einschränkungen behindern aber weitere
Entwicklungen des Jet-in-Air Verfahrens: Systembedingt können
bei vielen Proben bestimmte Zellen selbst bei Durchflussgeschwindigkeiten
unter hohem Druck erst nach langen Sortierzeiten gewonnen
und auch dann oft nicht ausreichend viele Zellen von Interesse
isoliert werden. Zudem können lange Sortierzeiten und hydrodynamische
Belastungen die Integrität empfindlicher Zelltypen beeinträchtigen.
Darüber hinaus lässt sich eine massive Bildung von
Aerosolen nicht vermeiden, die potentiell gefährliche Partikel enthalten
und Bedienpersonal sowie Umgebung kontaminieren können.
Im Rahmen dieses Projekts wollen wir daher Grundlagen für neuartige
Analysen und schonende Auftrennungen vitaler Zellen mit hoher
Ausbeute erarbeiten, bei dem Aerosolbildung weitgehend vermieden
wird. Hierfür sollen innerhalb eines zweidimensionalen
Mikroleitsystems unter Einsatz der elektro-hydrodynamisch wirksamen
Elektrowetting-Technologie in Mikrotröpfchen eingeschlossene
Zellen auf Mikrofluidik-Chips analysiert, individuell adressiert und
hochparallel sortiert werden.
Vorhaben des Teilprojekts
Ein wesentlicher Aspekt des Teilprojekts bildet die Entwicklung und
Optimierung von physikalischen Sortieralgorithmen, welche sich in
der Form einer spezifischen Architektur der Hochgeschwindigkeits-
Sortieranlage (i.e. des Mikrofluidik-Chips) realisieren lassen. Hierzu
soll ein raum- und zeitdiskretes, numerisches Logistik-Modell bezüglich
der Prozessierung von zellenhaltigen Tröpfchen-Kolonnen
erstellt und anhand geeigneter Experimente validiert werden, mit
Hilfe dessen sich die gesuchte Mikrofluidik-Sortieranlage entwerfen
und optimieren lässt.
Stand der Technik
Gebräuchliche Zell- und Partikelauftrennungen mit Hilfe der Durchflusszytometrie nach dem
Jet-in-Air Verfahren konnten sich sowohl in der grundlagenorientierten Forschung als auch
bei klinischen Anwendungen erfolgreich etablieren. Bei diesem seriellen, strahlbasierten
Verfahren haben sich insbesonders bezüglich der Sortiergeschwindigkeit Einschränkungen
ergeben, welche systembedingt nicht mehr aufgehoben werden können. So führen z.B. die
im Sortierstrahl benötigten Druck- und Strömungsbedingungen bei empfindlichen Zellen
regelmäßig zu Beeinträchtigungen der Integrität und Vitalität. Zusätzlich lässt sich die massive
Bildung von Feinsttröpfchen nicht vermeiden, wodurch sich potentiell gefährliche Aerosole
verbreiten können. Insgesamt stößt das Jet-In-Air-Verfahren an seine physikalischen
Grenzen, wenn Durchsatzraten von mehr als 50.000 Zellen/s gefordert sind.
Hoch-parallelisierte Sortieranlagen hingegen, in welchen die Zell- oder Partikelproben
innerhalb kleinster Flüssigkeitsvolumina mit Hilfe der Elektowetting-Methode [1] transportiert
und prozessiert werden, lassen sich in der Gestalt von Mikrofluidik-Chips realisieren
und bieten dadurch eine flexibel skalierbare Plattform an, auf Grund derer sich die besagten
Geschwindigkeitsbegrenzungen serieller Sortierverfahren in vielversprechender Weise
umgehen lassen. Die Herausforderung dieses (Teil-)Projektvorhabens liegt demnach in
der Entwicklung leistungsfähiger Chip-Architekturen, bzw. im Entwurf und der Optimierung
ultra-schneller physikalischer Sortieralgorithmen.
Physikalische Sortieralgorithmen
Der Zeitraum der Forschungsaktivitäten zu den physikalischen Sortieralgorithmen bei der
(strahlbasierten) Durchflusszytometrie reicht von den frühen 60er-Jahren bis weit in die
späten 90er-Jahre. Die Literatur zu den algorithmischen Aspekten des physikalischen
Hochgeschwindigkeits-Sortierens im Kontext der elektronisch aktivierten, digitalen Mikrofluidik
(DMF) ist demgegenüber praktisch inexistent [2], zumal in den meisten Publikationen
zu Chip-basierten Zellensortieranlagen fast ausschließlich prozesstechnologische
Aspekte der Zellenhandhabung im Vordergrund stehen [3]. Dediziert algorithmisch dominierte
Lösungsansätze wurden bisher einzig in einer aktuellen Patentschrift konkretisiert,
und zwar als Konzeptvorschlag für eine multifunktionale Sortieranlage in einem generischen
Mikrokanal-System [4]. Deterministische physikalische Sortieralgorithmen referieren in der
Regel auf Architekturen mit logischen Entscheidungsbäumen, währenddessen bei sehr
raren Zellvorkommen auf statistische Entscheidungsprozesse, basierend auf der multivariate
Analyse, verwiesen wird. Trotzdem bleibt offen, wie diese Algorithmen für sehr große
aggregierte Prozessraten (z.B. 1.000.000 Zellen/s) auszulegen sind, zumal deterministische
Sortierverfahren mit logischen Entscheidungsbäumen an ihre Grenzen stoßen können.
Neuere Forschungstendenzen der «physikalischen Algorithmik» wagen einen umgekehrten
Blick, indem sie die algorithmischen Freiheitsgrade des zugrundeliegenden physikalischen
Prozesses erkunden [5] bzw. den dadurch vorgegebenen Implementationsspielraum methodisch
zu bewerten versuchen. In Konsequenz würde dies bedeuten, dass die Hardwareimplementation
bzw. das Substrat, oder gar das zugrundeliegende Material, das eigentliche
Entwurfsparadigma des Algorithmus darstellt (material computing) [6].
Publikationen Forschung MINAPSO
[1] B. Göllner, D. Kerkhoff, U. Michelsen, M. Padberg, F. Schreiber, and D. Erni,
"Design optimization of an electrowetting cell sorter chip platform,"
BMT 2012 - 46. DGBMT Jahrestagung, Deutsche Gesellschaft für Biomedizinische Technik, Sept. 16-19, Jena, Germany, Track G: Innovative Methods in Tissue Engineering & Regenerative Medicine, Track G, pp. 59, 2012.
pdf_(880_kB)
[2] B. Göllner, D. Kerkhoff, U. Michelsen, M. Padberg, F. Schreiber, and D. Erni,
"Design optimization of an electrowetting cell sorter chip platform," Biomedical Engineering / Biomedizinische Technik, vol. 57, no. SL-1, pp. 978-981, Sept. 2012.
pdf_(846_kB)
[3] F. Schreiber, A. Rennings, and D. Erni,
"Optimierung von Chip-Architekturen effizienter Zellsorter basierend auf dem Elektrowetting-Verfahren,"
submitted to 4. Mikrosystemtechnik-Kongress 2013 (MST 2013), VDE and Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), Oct. 14-16, Eurogress, Aachen, Germany, 2013.
Literaturhinweise
[1] Uwe Herberth, Fluid Manipulation by Means of Electrowetting-On-Dielectrics. Dissertation Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau, Mai 2006.
[2] J. F. Leary, "Ultra high-speed sorting," Cytometry A, vol. 67A, no. 2, pp. 76-85, Oct. 2005.
[3] J. El-Ali, P. K. Sorger, K. F. Jensen, "Cells on chips," Nature, vol. 442, pp. 403-411, July 27, 2006.
[4] J. F. Leary, C. J. Frederickson, "Flow sorting system and methods," US-Pat. No. 7452725, issued Nov.18, 2008.
[5] N. Murphy, T. J. Naughton, D. Woods, B. Henley. K. McDermott, E. Duffy, P. J. M. van den Burgt, N. Woods,
"Implementations of a model of physical sorting," book chapter in From Utopian to Genuine Unconventional
Computers, A. Adamatzky, C. Teuscher (Eds.), Luniver Press, 2006.
[6] S. Stepney, "The neglected pillar of material computation," Physica D, vol. 237, no. 9, pp. 1157-1164, July 1, 2008.
- Letzte Änderung:
- © Universität Duisburg-Essen
- Kontakt Webmaster